Welt am Sonntag Nr. 50/ 197?
Der Verein für Körperkultur 1901 Charlottenburg hält Sport für die „herrlichste Nebensache der Welt. Und doch vermerkt die Klubchronik zwei Bundesliga-Teams – und eine Bambi-Tennis-Abteilung
Bier gezapft wird im Klubheim des Vereins für Körperkultur 1901 Charlottenburg nicht nur zur Sommerzeit. Der Gastronom schenkt ganzjährig aus, denn am Maikäferpfad ist immer etwas los. So purzelten Heinz Böse, dem Vorsitzenden, beim letzten Kassensturz mehr als 60 Duschmarken – das Stück für zwei Groschen – entgegen. „Und das nach einem autolosen Sonntag.“
Aber nicht nur die Faustballer des VfK, die die einstige Sportart mit Hosenträger-Image für Berlin bundesligareif nachten, gehen nach schweißtreibenden Trainingsabenden in der benachbarten Rudolf-Harbig-Traglufthalle im Vereinsheim „unter Wasser“.
Der VfK pflegt zwar „nur“ drei Sportarten, aber in zwei Disziplinen erreichte man die Bundesliga, in der dritten ist man gar völlig konkurrenzlos.
So wird an zwei Tischtennisplatten in der sogenannten Sonnehalle und auf vier Flächen draußen auf dem Freigelände selbst bei Schnee fleißig „geschmettert“. Die Disziplin, die nahezu sämtliche 460 VfK-Mitglieder mit Begeisterung treiben, heißt Bambi-Tennis und ist eine spezielle Charlottenburger Kreation:
Was Uschi Böse als „´ne Seuche“ bezeichnet, findet auf einem 10x20 Meter großen Spielfeld als Doppel statt. Gespielt wird mit einem Holzbrett und einem Tennisball, der über ein 1,10 Meter hohes Netz zu schlagen ist. Die meisten VfKler bevorzugen Speckbrettl aus Münster. Hauptsportwart Joachim Tiedt plädiert aber nunmehr für Schläger made in Berlin, mit „denen ein schnellerer Ballwechsel möglich ist“.
Immerhin, das Finale der letzten Klubmeisterschaften war „so spannend, dass selbst die Laubenbesitzer, die gegen den Bau des vierten Feldes protestiert hatten, mit ihren Kaffeegästen am Zaun standen und auf offener Szene applaudierten“. Heinz Böse ist allerdings froh darüber, dass Bambi-Tennis nur innerhalb seines Klubs gespielt wird. „Es könnte sonst tierischer Ernst werden.“
Für Böse ist Sport noch immer eine der „herrlichsten Nebensache der Welt“. Diesem Motto weitgehend angepasst ist auch das Leben und Treiben in der Eichkamp-Oase, die das Bezirksamt als Eigentümer für „eine der gepflegtesten Anlagen Berlins“ hält. Das 30.000 Quadratmeter große Areal hatten die VfKer 1913 selbst urbar gemacht. Vorher war der Klub am Kurfürstendamm Ecke Wilmersdorfer Straße und später an der Avus zu Hause.
Angelegt wurde damals auch eine 350-Meter-Aschenbahn. „Da sollten 1936 bei den Olympischen Spielen die Finnen trainieren. Doch sie lehnten ab, die Bahn war ihnen zu kurz“, erinnert sich Böse, der seit 1930 Mitglied im VfK 1901 ist. „Während der Hitlerzeit hießen wir übrigens vorübergehend Verein für Körperzucht.“
Obwohl Weitsprung- und Kugelstoßanlagen vorhanden sind, ist der VfK ohne Leichtathletik-Abteilung. „Das alles dient bei uns mehr dem Trimm-dich.“ Zum Gelände gehören auch ein kleines Wäldchen, Kinderspielplatz und ein mit einem Holzzaun abgeschirmtes Luftbad – exklusiv für Damen, „die sich hier sonnen können, wie Gott sie schuf. Wir sind aber kein Freikörperkultur-Verein“, sagt Böse. „Auch Gäste können für zwei Mark textilfrei baden.“
Die „Kameradinnen“, die sich im Winter sportlich betätigen wollen und ihre Sachen in Umkleideräumen des Bades hängen lassen, weist Luftbadobmännin Käthe Blom darauf hin, die Kleiderbügel deutlich zu kennzeichnen, denn „verschmutzte Decken und Kleidungsstücke ohne Name werden als herrenlos angesehen und vernichtet“. So streng sind hier die Bräuche.
Dennoch: Der Beschwerde-Ausschuß beim VfK ist seit Jahren arbeitslos. Völlig sorgenfrei sind die Charlottenburger jedoch nicht. So klagt Oskar wolter, dass nicht genügend Jugendliche zum Übungsabend in die Turnhalle Sybelstraße kommen. Intensiv bemüht sich Wolter um den Aufbau einer Jugendabteilung. „Bisher sind wir nur 40“, sagt er. So hat der VfK zwar sechs Faustball-Mannschaften, aber kein Jugendteam. „Vielleicht klappt es jetzt mit dem Aufbau einer Schülergruppe.“
Die Faustballer, bei deren Spiel der Ball Geschwindigkeiten bis zu 100 Stundenkilometer erreicht – Trainer Peter Werres: „Das ist Hochleistungssport“ -, sorgten bisher für die größten Erfolge in der Vereinsgeschichte. Auf Berliner Meisterschaften abonniert, qualifizierten sie sich 1969 für die Bundesliga. Nach mehreren nur knapp verlorenen Spielen folgte in der letzten Saison der Abstieg.
„Ich hoffe, dass wir wieder aufsteigen“, meint Böse und erinnert sich, dass 1967 bei den Titelkämpfen in Bamberg der VfK Charlottenburg Berlin mit vier Mannschaften vertrat. „1971 wurden wir Deutscher Vizemeister in der Halle.“ Das war übrigens in der Sömmeringhalle, eine Arena, die die Faustballer des VfK nur zu gerene für Trainingszwecke benutzen würden.
Bundesligaluft schnuppern für den VfK jetzt allein die Prellballer. Bei den letzten Titelkämpfen landeten sie an fünfter Stelle. Diesmal droht der Abstieg. Aber noch ist nichts entschieden. Und für den VfK 1901 Charlottenburg geht die Sonne ohnehin niemals unter.
Schwarz auf weiß im Vereinswappen festgehalten: eine aufgehende Sonne.
(Dieter Pawlowski)
Alle Fotos: privat/ Wolfgang Thalheim